Frau Matthyssen, Sie haben damals mit Ihrem Mann ein ganz schönes Risiko auf sich genommen.1990 sind Sie aus Belgien in das Lausitz-Dörfchen Hornow gezogen, haben ein altes LPG-Gebäude gekauft und angefangen, belgische Schokolade zu machen.
Matthyssen: Das war eine irre Zeit. Wir sind hier angekommen, konnten kein Deutsch und hatten kaum Geld. Wir haben alles, was wir hatten, in unsere Firma gesteckt. Mein Mann Peter und ich sind in die alten LPG-Büros über der Produktion gezogen - am Anfang haben wir da noch ohne Wasser gelebt. Das war keine leichte Zeit. Wir mussten die Menschen auch erst einmal davon überzeugen, dass handgemachte Schokolade besser schmeckt als industrielle. Aber unsere Nachbarn haben immer an uns geglaubt – ohne deren Untersitzung hätten wir das nicht geschafft.
Bienstman: Ich bewundere das sehr. Ihr habt einfach losgelegt und euch von den ganzen Risiken und Zweifeln nicht abhalten lassen. Dafür habt ihr auch viel gearbeitet und all eure Zeit in das Unternehmen gesteckt. Eigentlich habt ihr nicht drei, sondern vier Kinder. Das erste heißt Felicitas.
Frau Bienstman, in einer Schokoladenfabrik aufzuwachsen, klingt wie ein absoluter Kindertraum. Wie war das für Sie?
Bienstman: Ich und mein ältester Bruder sind neben den Schokoladenmaschinen aufgewachsen. Wir waren einfach immer mit dabei. Im Alter von vier Jahren habe ich schon Kostproben im Laden verteilt, später habe ich meine Eltern auch auf Messen begleitet.
War es also schon immer klar, dass Sie, Frau Bienstman, irgendwann die Firma ihrer Eltern übernehmen werden?
Bienstman: Eigentlich nicht. Erst wollte ich Erzieherin werden. Aber nach einem Praktikum in der Grundschule mit sehr frechen Schülern habe ich gemerkt: Das ist doch nicht das Richtige für mich. Meine Eltern haben mir dann vorgeschlagen, eine Lehre als Einzelhandelskauffrau zu machen. Die wollte ich aber auf keinen Fall im Familienbetrieb machen, sondern lieber woanders.
Wieso?
Bienstman: Ich wollte erst einmal meine eigenen Erfahrungen sammeln und habe meine Ausbildung in einem Möbelgeschäft in Cottbus gemacht. Direkt im Familienunternehmen anzufangen, war mir zu heikel. Die Mitarbeitenden kannten mich vor allem als Tochter. Eine der dienstältesten Verkäuferinnen kennt mich, seitdem ich ein Baby war.
Frau Bienstman, Sie haben bereits ein Felicitas-Geschäft in Dresden geleitet, jetzt sind Sie für Marketing und Kommunikation zuständig. Wie ist das mit der Familie zusammenzuarbeiten?
Bienstman: Es ist schön, weil wir uns aufeinander verlassen können und uns sehr gut kennen. Aber manchmal hat das natürlich auch Nachteile.
Matthysen: Ach ja?
Bienstman: Ja, in machen Meetings fühlt man sich dann wieder wie ein kleines Kind, wenn Mama sagt „Marie, setz dich gerade hin”. Das würde sie zu den anderen Mitarbeitern wohl eher nicht sagen.
Matthyssen: Körpersprache ist eben wichtig!
(Beide lachen.)
Was können Sie von Ihrer Mutter lernen?
Matthyssen: Da bin ich jetzt aber gespannt.
Bienstman: Meine Mutter hat eine ganz großartige Art mit unseren Mitarbeitern zu sprechen, ganz klar und auf Augenhöhe. Sie hat jeden Einzelnen im Blick. Und beim Präsentieren kann ich mir auch etwas von ihr abgucken. Früher hast du noch Besuchergruppen geleitet.
Matthyssen: Manchmal nehme ich mir noch die Zeit für die Besuchergruppen. Ich finde es wichtig, Gesicht zu zeigen und unsere Geschichte zu erzählen. Die Gäste wissen das sehr zu schätzen.
Gibt es schon ein Datum, an dem Sie und Ihr Mann, die Leitung an Ihre Tochter übergeben werden?
Matthyssen: Wir werden in den nächsten fünf Jahren überlegen, wie wir den Übergang gestalten. Ich bin jetzt 56 Jahre alt und will nicht arbeiten, bis ich 80 bin. Aber selbst dann sind wir ja nicht aus der Welt und werden Marie mit Rat und Tat zur Seite stehen, wir leben ja in einem Dorf.
Bienstman: Ich kann mir den Übergang noch gar nicht vorstellen, weil meine Eltern beide so viel Herzblut in die Chocolaterie gesteckt haben. Das werden große Fußstapfen, in die ich da trete.
Sie sind 25 Jahre alt und gehören damit zur Generation Z. Also der Generation mit den meisten Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Haben Sie manchmal Zweifel an Ihrer Entscheidung?
Bienstman: Ich habe mich oft gefragt: Willst du wirklich so eine große Firma übernehmen? Wir haben 75 Mitarbeitende, drei Läden, produzieren xx Schokolade am Tag[KL1] . Das ist eine irre Verantwortung. Natürlich schläft man als Angestellte nachts besser, als Selbstständige trägt man die Probleme immer mit sich herum. Ich kenne das von meiner Mama und meinem Papa. Felicitas war immer Thema am Abendbrottisch.
Was werden Sie anders machen als Ihre Eltern?
Bienstman: Versuchen mehr abzuschalten. Ob das dann klappt oder nicht, ist die andere Frage. Eigentlich wollte ich nicht, dass mein Partner mit ins Unternehmen kommt (Anmerkung der Redaktion: Marie Bienstmanns Partner Jonny Lawrenz arbeitet als Chefkoch in dem Café des Schokoladenlands), weil man dann ständig über die Arbeit redet. Aber bei uns beiden geht das. Wir haben tagsüber nicht so viel miteinander zu tun. Das ist sicher deutlich schwerer, wenn man gemeinsam ein Unternehmen führt.
Matthyssen: Das stimmt. Mein Mann und ich haben damals immer gedacht: Wenn wir dieses Problem gelöst haben, dann können wir uns ausruhen. Aber so läuft das nicht. Es kommen immer neue Probleme dazu. Aber mir hat das nichts ausgemacht. Die Chocolaterie ist mehr als meine Arbeit - sie ist mein Lebenswerk. Deshalb bin ich auch am Wochenende freiwillig hier und unterhalte mich mit den Kunden. Mir macht das einfach Spaß.
Bienstman: Ich glaube, das ist auch ein bisschen der Generationenunterschied. Mir macht die Arbeit auch Spaß, aber ich muss auch abschalten können. Meine Eltern wohnen immer noch über der Produktionsstätte und sind immer da. Ich wohne mit meiner Familie noch im Nebenbau, aber nicht mehr lange. Wir haben uns jetzt ein Haus gekauft. Das ist zwar immer noch im selben Dorf, aber immerhin auf der anderen Straßenseite.
Wollen Ihre beiden Brüder auch in das Familienunternehmen einsteigen?
Matthyssen: Unser ältester Sohn Simon hat schon ganz früh gesagt: Ich liebe Schokolade, aber ich mache später mal etwas anderes. Gerade schreibt er seine Doktorarbeit in Soziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Bienstman: Mein jüngerer Bruder Johannes überlegt noch. Er ist erst 19 Jahre alt und hat gerade in Potsdam angefangen, BWL zu studieren. Eigentlich hat er von Anfang an gesagt, dass er mit mir die Schokoladenfabrik führen will. Aber jetzt zweifelt er.
Wieso?
Bienstman: Das ist wahrscheinlich auch so ein Generationending. Johannes merkt jetzt, wie es ist, woanders zu wohnen und sieht, welche Möglichkeiten es sonst noch gibt. Klar, fragt er sich: Will ich wirklich wieder zurück in die Lausitz?
Matthyssen: Ich bin mal gespannt, wie er sich am Ende entscheidet. Aber wenn er etwas anderes machen will, ist das auch in Ordnung. Das war niemals unsere Bedingung. Wir wollen, dass unsere Kinder glücklich sind.
Bienstman: Das bringt ja sonst auch nichts.
Matthyssen: Das stimmt. Man kann die Arbeit nur mit voller Überzeugung machen, sonst wird man damit nicht glücklich.
Bienstman: Andererseits könnte ich mir das überhaupt nicht vorstellen, wenn Fremde die Schokoladenfabrik weiterführen würden. Das wäre nicht dasselbe. Felicitas muss in der Familie bleiben.